Sonntag, 24. Juli 2016

Außerhalb meiner Reichweite

Boarding time 6:55: Mein lang ersehnter Flug von Köln nach Nairobi, Afrika, mit knapp bemessenen Zwischenstopp in Zürich. 

Schon frühzeitig sitze ich am Gate, als sich ein Herr mit Anstecknadel an den Boarding-Schalter schiebt. "Habt ihr schon eine Ansage gemacht?", fragt er seine beiden jüngeren und sichtbar unerfahrerenen Kollegen. Ich werde hellhörig. Keine Reaktion.

Einige Zeit später beugt sich der Mittvierziger höchstpersönlich zur Sprechanlage herunter. Das Boarding verspätet sich, der Flugraum sei hoch frequentiert, heißt es. Ende der Durchsage. "Alles Standardsätze", wirft er seinen Mitarbeitern zu und schlendert gelassen, aber wichtig, davon.

Wie sagen die Afrikaner? Hakuna Matata? Ich bleib ruhig. Alles kein Problem!  Das wird schon passen.

Inzwischen sitze ich im Flieger. In einer viertel Stunde sollen wir abheben. Es ist 07:50, besagte Startzeit, als ein Gast einen vermeintlichen Riss an der Scheibe entdeckt. Die freundliche Dame vom Boardservice verrät: Ein Profi wird sich die Sache ansehen. Ich beginne zu rechnen: Eine Stunde Flugzeit, dann wäre ich knapp bei Boarding-Start am Flughafen. Ich werde unruhig. 

"It's going to be fun, a real adventure", sagt meine Sitznachbarin. Moment mal Fräulein, lustig? Also mir vergeht gerade das Lachen. Ich habe viel Geld für meinen Afrika-Flug gezahlt! Und ... Moment, war es nicht mein Gebet: Herr fordere mich heraus. Ich springe ins Abenteuer ... ? Gott antwortete wohl auf direktem Wege. Gesagt, getan, gelernt: Schicke nie leichtfertige Gebete los.

Die Frau mit den braunen Locken und ich kommen ins Gespräch. Warum ich das gebetet habe, will sie wissen. Ich wolle frei werden, Sicherheiten loslassen, und lernen Ruhe zu bewahren in Dingen, die man ohnehin nicht in der Hand hat, antworte ich.

"You can't avoid pain in your life. But suffering is a decision", sagt sie. Schwerzen könnten der Verlust von Gepäck sein, eine Nacht am Flughafen, oder ein Autounfall. Von diesem erzählt mir die Studentin aus Tel Aviv. Seit dem Unglück ist sie eingeschränkt, Bewegungen fallen ihr schwer. "Everything will be okay in the end." Dieser Überzeugung ist sie. "Things happen, but in the end it doesn't really matter. If you lose your luggage or if you spend a night at the airport. We struggle, but we surrive." Es geht darum, an den Dingen nicht zu verzweifeln, sondern mit ihnen umzugehen.

Sie wünscht mir, dass ich es auf meiner Reise lerne, nicht bei einem Autounfall. Dass am Ende alles gut ist, aber nicht das Ende der Welt.

Während mir die Stewardess flüstert, ich solle flotten Fußes sein, während ich in die erste Sitzreihe umgesetzt werde, damit ich mit Öffnung der Luke loszusprinten kann, werfe ich meiner Mitstreiterin einen letzten verzweifelten Schulterblick zu. Während sie mich mutmachend anschaut und in ihren Augen echter Glaube abzulesen ist, dass ich es rechtzeitig schaffen werde, hoffe ich, dass auch sie ihren Flug bekommen wird. Ich kann loslaufen, sie nicht. Sie ist nach ihrem Unfall auf einen Travel-Assistant angewiesen.

Während ich aus dem Flieger in den Verbindungstunnel laufe, erfüllt sich meine Hoffnung, als dort eine Dame die verspäteten Gäste nach Tel Aviv weiterleitet und mir, als ich ums Eck biege, ein Mann mit Warnweste und Rollstuhl entgegen gesprintet kommt. Nun weiß ich: Ma'an wird es schaffen. Und zwar von Anfang an mit mehr Gelassenheit als ich.

So renne ich durch den Flughafen, vorbei an Prada und Schweizer Schokolade, rein in die Hochgeschwindigkeitsbahn, in der mir die durch die Lautsprecher hallende Almjodelei und Heidimusik wie Ironie vorkommen. Endlich sitze in meinem sehr komfortablen schweizer Sessel, atme auf und weiß: Das Abenteuer hat gerade erst begonnen. Mit Hakuna Matata hat es noch nicht so gut geklappt. Aber ich will es auf meiner Reise lernen. Wünscht mir Glück!

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